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  • AutorenbildGesine Schulz

Ernst Fritze

Luise Reinhardt, alias Ernst Fritze, geb. Ditfurth.

*31. Mai 1807 Magdeburg – 24. Oktober 1878 Merseburg.


Luise Reinhardt war eine höchst erfolgreiche Autorin von Kriminalliteratur und eine Pionierin auf diesem Gebiet.


Wenn man nicht gerade zu der kleinen – aber wachsenden – Zahl von Menschen gehört, die sich für die Frühzeit des deutschsprachigen Kriminalromans interessiert, wird einem Luise Reinhardt unbekannt sein.


Sie wurde am 31. Mai 1807 als Luise Ditfurth in dem von napoleonischen Truppen besetzten Magdeburg in ein bürgerliches Elternhaus geboren. Wenige Wochen darauf, im Juli, setzte sich Luises Namenspatin, Königin Luise von Preußen, bei Napoleon vergeblich für die Rückgabe Magdeburgs ein.


Der Vater Johann Friedrich Karl Ditfurth war Rektor der städtischen Töchterschule, deren Schülerin Luise später wurde. Ihre beiden Brüder, mit denen sie „innig verbunden“ war, wie sie schreibt, erhielten eine damals Söhnen vorbehaltene bessere Schulbildung, von der die Schwester aus zweiter Hand profitierte. Ebenso anregend für ihre musische Entwicklung empfand sie „das geistige Regen und Leben“ in ihrem Elternhaus.


Nach einer längeren Verlobungszeit heiratete sie in Stendal den Justizassessor Reinhardt, der später in Magdeburg Stadt- und Kreisgerichtsrat wurde.


Luise Reinhardt war Mitte dreißig, als ihr erstes Buch erschien, ein dreihundertseitiger Jugendroman, der mehrere Auflagen erlebte und ins Holländische übersetzt wurde.


Sie veröffentlichte von Anfang an unter einem männlichen Pseudonym.

Als Ernst Fritze wurde sie den folgenden Jahren zu einer erfolgreichen und beliebten Schriftstellerin. Sie veröffentlichte etwa 45 Bücher, viele davon mehrbändig, einige wurden in andere Sprachen übersetzt.


Den Namen Ernst Fritze hatte sie gewählt (in „neckischer Laune“, wie sie später gestand), um den Verdacht der Autorschaft auf einen jungen Referendar ihres Mannes zu lenken. Friedrich Ernst, von ihr als poetischer Referendar betitelt, schrieb und veröffentlichte plattdeutsche Gedichte.


Durch ihren Mann, mit dem sie eine anregende und glückliche Ehe führte, erhielt sie Einblicke in Kriminalfälle und Gerichtsverfahren.

Dass der Gerichtsrat „mit Leib und Seele Kriminalist war und seine Untersuchungen mit großem Glück führte“, wie sie vermerkte, hatte einen erheblichen Einfluss auf ihr Schreiben. Ihre ersten Kriminalerzählungen entstanden.


Das Buch Erinnerungsblätter aus dem Leben eines Criminalisten erschien 1854.

Der geschickt gewählte Titel, das männliche Pseudonym – nicht nur damals hielten viele Leser die Kriminalerzählungen für tatsächliche Memoiren eines Kriminalbeamten. In einer kanadischen Universitätsbibliothek ist das Buch noch heute unter den Biographien von Kriminalisten zu finden.


In einer mehrseitigen Einleitung informiert Luise Reinhardt alias Ernst Fritze ihre Leserschaft über den Inhalt des Bandes.

Ursprünglich „beschränkte ich mich lediglich auf die Rechtsfälle, welche ich unmittelbar aus der Praxis eines Criminalbeamten, der mir befreundet war, schöpfen konnte, und darauf gründet sich der Titel des Werkes. Späterhin erweiterte ich den Kreis meiner Bearbeitungen und nahm Prozesse darin auf, welche einem frühern Zeitalter angehörten, jedoch interessant genug waren, um der Vergessenheit entrissen und neu bearbeitet zu werden.


Der Leser wird unterrichtet, „daß er keine Erdichtungen zu erwarten hat, sondern actenmäßig verbürgte Tatsachen, denen das Gewand der Novellistik eine gewisse Abrundung verliehen hat, ohne der historischen Genauigkeit des Factums im mindestens Abbruch zu tun“. Weiter heißt es:


„Nach den aufmerksamen Beobachtungen erfahrener Psychologen entwickelt sich oft – ja wir müssen behaupten fast immer – der Keim zum Verbrechen in einem einzigen Momente“.


Das Anliegen der Autorin war es, weniger die Situationen der eigentlichen Tat zu schildern, sondern den Seelenzustand der Menschen, die sich zu einem Vergehen oder Verbrechen hinreißen ließen.


Drei Jahre später folgte ein neuer Band der Erinnerungsblätter eines Criminalisten sowie – im Wechsel mit historischen und anderen Romanen – weitere Kriminalromane und -erzählungen. Einige Titel sind:


Dunkle PuncteFreigesprochen!Ein geheimnißvoller Tod – Gerechte Strafen – Im Sturm der Eifersucht – Der Major – Der Sohn der Neffen – Der stille Speculant – Ein Stückchen Papier – Verdächtig! (holländische Übersetzung: Verdacht!) – Von Stufe zu Stufe


Ihre Pseudonymität hielt Luise Reinhardt bis zum Tode ihres Mannes 1870 bei. Drei Jahre später, im Alter von 66 Jahren, verlegte sie ihren Wohnsitz von Magdeburg nach Merseburg, wo Verwandte wohnten und sie schon oft zu Besuch gewesen war.

Hier lebte sie zurückgezogen, wie es heißt, aber offensichtlich nicht untätig. An die zehn neue Romane entstanden und wurden veröffentlicht.

Luise Reinhardt wurde 71 Jahre alt. Sie starb am 24. Oktober 1878 in Merseburg.


2018: Luise landet im Lexikon


Die Überschrift klingt vielleicht etwas frivol dafür, dass es sich um ein Lexikon handelt, das im renommierten Böhlau Verlag erschienen ist, doch sei's drum.

Ich stöbere gerne in Lexika – je älter, desto besser –, und habe mich auch deshalb sehr gefreut, als ich gefragt wurde, ob ich für dieses Lexikon einen Beitrag über die Schriftstellerin Luise Reinhardt schreiben wolle.

Herausgeberin Eva Labouvie, Professorin für Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung am Institut für Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, war auf meinen Blog-Beitrag über Luise Reinhardt (1807-1878) gestoßen.


Zwar schrieb ich noch an meiner in England spielenden Romanreihe, als mich die Anfrage erreichte, doch munter sagte ich Professorin Labouvie zu, den Artikel zu verfassen – nicht ahnend, wie viele durcharbeitete Nächte mir bevorstanden.

Einmal ging es hier ja um Luise Reinhardts gesamtes schriftstellerischen Schaffen, zum anderen waren seit meinen ursprünglichen Recherchen in Bibliotheken und im Internet, unglaublich viele Quellen digitalisiert worden, die ich alle durchforsten und gegebenenfalls einarbeiten musste. Letzteres nach einem bis ins Kleinste vorgegebenen Schema. Wie es für akademische Veröffentlichungen eben üblich ist ;-)


Ein Porträtfoto oder -gemälde habe ich trotz intensiver Suche online und zahlreichen Korrespondenzen mit Bibliotheken und Archiven leider nicht gefunden. Dafür stieß ich auf viele, sehr viele mir noch unbekannte Werke von Luise Reinhardt und auf andere interessante Details, so in letzter Minute, kurz vor Abgabeschluss des Manuskripts, noch auf die Vornamen, sogar den Geburtsnamen und die ungefähren Lebensdaten von Luises Mutter, Elisabeth Dorothee Luise, geb. Nieper (um 1786-1836).

Mich stört es immer, wenn Frauen als "Tochter von [hier Name des Vaters]" beschrieben werden, als wären Töchter berühmter Männer mutterlos aus einem Ei gesprungen.


Die Arbeit hat mir trotz der langen Nächte Spaß gemacht, und wieder einmal habe ich gestaunt, wie ungeheuer produktiv viele Schriftstellerinnen im 19. Jahrhundert gewesen sind. Ganz ohne Computer, oft auch noch ohne Schreibmaschine. Wenn ich im Buch die vier klein(!) gedruckten Spalten der Literatur und Sekundärliteratur sehe, die meinem zweiseitigen Lexikonbeitrag folgen, staune ich allerdings auch. Über mich ;-)


Als das Belegexemplar des Lexikons bei mir eintraf – mein bisher schwerstes! – verlor ich mich gleich in vielen der geschilderten Lebensgeschichten. Manche über Frauen, die mir dem Namen nach bekannt waren, andere über mir unbekannte, deren Lebenswege und Leistungen sich spannend lasen. Ein Band zum Stöbern also, der inzwischen sicher in vielen Stadtbüchereien und Universitätsbibliotheken vorhanden ist. Es gibt auch eine eBook-Ausgabe.



Frauen in Sachsen-Anhalt 2. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom 19. Jahrhundert bis 1945. Hrsg. von Eva Labouvie. Böhlau Verlag, 2018. 528 Seiten. 97 s/w-Abb. und 20 Farbtafeln. ISBN 978-3-412-51145-6. eBook 978-3-412-51420-4

 

Der Artikel Eine Krimiautorin wird zweihundert war meine erste Veröffentlichung über Luise Reinhardt, erschienen am 31. Mai 2007 in dem Online-Magazin Brikada – Magazin für Frauen. Augsburg.


Der Beitrag ist auch enthalten in: Secret Service. Jahrbuch 2007. Hrsg. von Das Syndikat, Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur. KBV-Verlag, 2007. S. 95 - 97.


Unter dem Titel Eine Pionierin auf dem Gebiet der Kriminalliteratur – Luise Reinhardt alias Ernst Fritze war der Text von 2015 bis Mitte 2020 ähnlich auch auf der "Hall of Fame"-Seite des SYNDIKATs zu lesen. In der "Hall of Fame" wurden Größen der deutschsprachigen Krimiszene im Porträt vorgestellt. Das SYNDIKAT ist der Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur.

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